Eigentlich sollte der neue Bundestag im September gewählt werden, doch das Ampel-Aus machte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. Die Bundestagswahl wurde vorgezogen. Am Sonntag (23. Februar) ist es so weit. Organisatorisch ist das für viele Kommunen eine Mammut-Aufgabe, muss doch die üblicherweise monatelange Planung jetzt in nur wenigen Wochen erledigt sein.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand warnte Noch-Kanzler Olaf Scholz bereits im Vorfeld vor den möglichen Folgen, diese sind gerade für im Ausland lebende Deutsche immens. Denn nicht nur bei Wählern innerhalb der Bundesrepublik haben die Wahlämter deutlich weniger Zeit, um die beantragten Briefwahlunterlagen zu versenden, auch für das Ausland sind die Fristen verkürzt. Die Folge laut Aussage verschiedener Juristen: Zehntausende Deutsche könnten in ihrem Wahlrecht eingeschränkt werden. Jetzt drohen Klagen.
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Bundestagswahl: Kurzer Zeitplan hat drastische Folgen
Wie „t-online“ unter Berufung auf Bundeswahlleiterin Ruth Brand berichtet, sollten die Briefwahlunterlagen vor der Bundestagswahl zwischen dem 6. und dem 10. Februar versendet werden. Über den regulären Postweg brauchen sie drei bis vier Tage, bis sie bei ihrem Empfänger in Deutschland ankommen. Wohnt der Empfänger aber im Ausland, kann sich dieser Zeitraum schnell verdoppeln – oder sogar verdreifachen.
Laut der Deutschen Post dauert ein Brief von Deutschland in die USA zum Beispiel 6 bis 10 Werktage, nach Australien teilweise sogar bis zu 17. Damit Stimmen mitgezählt werden, müssen sie in dem deutschen Wahlbüro aber am Sonntag bis 18 Uhr eingehen. Heißt konkret: Allein bis die Briefe im Ausland ankommen, steht das Ergebnis der Bundestagswahl möglicherweise schon längst fest. Rein rechnerisch haben viele im Ausland lebende Deutsche also keinerlei Chance, an der Wahl teilzunehmen.
Auslandsdeutsche haben nur wenig Möglichkeiten
Die Möglichkeit, ihre Stimme für die Bundestagswahl direkt in einer Auslandsvertretung in ihrem jeweiligen Land abzugeben, haben Auslandsdeutsche allerdings nicht. „Das Bundeswahlgesetz sieht das nicht vor“, erklärt die Pressestelle der Bundeswahlleiterin auf Anfrage unserer Redaktion. Zwar habe es in der Vergangenheit immer wieder Vorstöße der Bundesregierung gegeben, die Wahlteilnahme für Auslandsdeutsche zu erleichtern, doch dabei sei herausgekommen, dass diese konkrete Lösung zu kompliziert sei.
Begründet wurde das unter anderem damit, dass „die Auslandsvertretungen Stimmzettel für alle 299 Wahlkreise in ausreichender Menge vorhalten müssten“. Gleichzeitig würde eine solche Regelung für viele Auslandsdeutsche eine weite Anreise zu den Auslandsvertretungen bedeuten. In großflächigen Ländern wie den USA, China oder Australien ein immenser Aufwand. „Zudem müsste die Wahl früher abgeschlossen werden als in Deutschland, sofern nicht Verzögerungen bei der Ermittlung des vorläufigen amtlichen Ergebnisses in Kauf genommen werden.“ Welche Möglichkeiten haben Auslandsdeutsche, von denen es Schätzungen zu Folge drei bis vier Millionen gibt, also noch?
Ergebnis landet wahrscheinlich vor Gericht
Die Pressestelle der Bundeswahlleiterin erklärt, dass einige Auslandsvertretungen anbieten, dass Wähler den amtlichen Kurierweg der Vertretungen selbst mitbenutzen dürften. So soll der rechtzeitige Eingang bei den Wahlämtern sichergestellt werden. Die Recherche von „t-online“ ergab allerdings, dass viele Auslandsvertretungen keinerlei Garantie dafür geben, dass die Briefe rechtzeitig im zuständigen Wahlamt in Deutschland ankommen.
Denn: Damit zum Beispiel ein Wahlbrief für die Bundestagswahl aus Sydney rechtzeitig nach Deutschland kommt, müsste er dort bis zum 17. Februar (12 Uhr) eingehen. Mit Blick auf den Zeitraum, wann die Unterlagen in Deutschland losgeschickt werden, eine unmögliche Aufgabe. Denn es dauert nicht nur mehrere Tage, bis die Briefe von Deutschland nach Australien geschickt werden, sondern auch nochmal mehrere Tage, bis die dann ausgefüllten Wahlbriefe vom Wähler in der Auslandsvertretung in Sydney ankommen. Eine betroffene, in Australien lebende Deutsche erklärt gegenüber „t-online“, meist brauche die Post innerhalb des großen Landes mehrere Tage.
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Verschiedene Juristen sehen diese Fristen mehr als problematisch, erklären sie gegenüber dem Online-Portal. Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler: „Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl wird womöglich verletzt. Das wäre ein Problem.“ Eine Anfechtung der Wahl hält er deshalb für wahrscheinlich – schließlich komme das bei jeder Wahl vor, dementsprechend also erst recht bei einer, die unter diesen Umständen durchgeführt wird.
„Das Ergebnis ist voraussehbar: Der gerade neu gewählte Bundestag wird die Beschwerden ablehnen. Schließlich wird er sich nicht selbst für ungültig erklären.“ Danach gibt es die Möglichkeit einer gerichtlichen Wahlprüfung. Staatsrechtler Ulrich Battis: „Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Wahl entscheiden muss.“ Entscheidend sei dann, ob die zu spät abgegebenen Stimmen mandatsrelevant sind und am Gesamtergebnis etwas ändern könnten, erklärt Boehme-Neßler.
Das wäre der Fall, wenn das Ergebnis der Bundestagswahl sehr knapp ist. Wenn in Einzelfällen gegen einen Wahlgrundsatz verstoßen wird, wäre das verkraftbar, ist die Anzahl der Stimmen, die nicht mitgezählt wurden, aber zu hoch, könnte das ernsthafte Folgen haben. Boehme-Neßler: „Wenn Tausende Auslandsdeutsche de facto von der Wahl ausgeschlossen werden, kann man schon über Mandatsrelevanz sprechen. Im schlimmsten Fall droht eine Annullierung der Wahl.“ Noch kann allerdings keiner sagen, ob es so weit kommt. Hierfür sind die Ergebnisse am Wahlsonntag elementar – genauso wie die Anzahl der daraufhin höchstwahrscheinlich auftretenden Beschwerden.