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Sex nach Schoduvel – Freispruch statt zweieinhalb Jahre Haft

Sex nach Schoduvel – Freispruch statt zweieinhalb Jahre Haft

Amtsgericht Braunschweig
Das Schöffengericht des Amtsgerichts hat den Angeklagten (im Hintergrund an der Eingangssäule) freigesprochen. Foto: Siegfried Denzel

Braunschweig. 

Vergewaltigung einer jungen Frau

nach dem Schoduvel 2016 in deren Wohnung in Braunschweig? So sehen es die Staatsanwaltschaft und Rechtsanwältin Monique Kretschmer als Nebenklagevertreterin der heute 23-jährigen Braunschweigerin. Oder war es eher die Vergewohltätigung einer „notgeilen“ – weil: „besonders schön ist sie ja nicht“ – Frau, wie Anwalt Martin Voß als Pflichtverteidiger des 24-jährigen Angeklagten mutmaßte?

So unterschiedlich wie die Beschreibungen des Geschehens am frühen Abend des 7. Februar vergangenen Jahres in der Wohnung am Altstadtring ausfielen, waren auch die Anträge: Für zwei Jahre und sechs Monate wollten Oberstaatsanwältin Ute Lindemann und Monique Kretschmer den mehrfach vorbestraften gebürtigen Hamburger hinter Gitter schicken – auf Freispruch hatte hingegen Verteidiger Voß plädiert.

Landgericht muss Freispruch prüfen

Das Schöffengericht des Amtsgerichts Braunschweig schloss sich am Freitag mit seinem Urteil dem Antrag der Verteidigung an: „Im Zweifel für den Angeklagten“, lautete das Fazit der Vorsitzenden Pia Genius, die von einer „sehr schwierigen Entscheidung“ sprach, „die man glücklicherweise nicht jeden Tag zu treffen hat“.

Doch die Entscheidung, die sie und ihre zwei Laien-Richter als Schöffen getroffen hat, wird nicht die letzte in diesem Fall sein: Sowohl Oberstaatsanwältin Lindemann als auch Nebenklagevertreterin Kretschmer kündigten Berufung an – damit muss sich das Landgericht mit der Angelegenheit befassen. Außerdem will Monique Kretschmer mit ihrer Mandantin beraten, ob sie gegen die Äußerungen von Verteidiger Voß juristisch vorgehen sollen.

Staatsanwältin empört

So hatte schon die Anklagevertreterin unmittelbar nach dessen Plädoyer in einer – höchst unüblichen – Erwiderung dessen Worte als „unverschämt“ und „abstoßend“ gebrandmarkt.

Doch entscheidend für das Schöffengericht war nicht der moralisch-juristische Schlagabtausch, sondern eine ganze Anzahl von Fragezeichen, die sich aus seiner Sicht hinter dem Geschehen am Schoduvel-Abend 2016 auftaten.

Erwiesen ist demnach lediglich, dass die heute 23-Jährige während des Karnevalsumzugs zwei junge Männer kennenlernte und diese danach zu sich in die Wohnung genommen hat. Deutlich angetrunken, habe sich die junge Frau dort aufs Sofa gesetzt, um sich ihre Thermo-Leggins auszuziehen. Dabei aber sei sie zur Seite gekippt und eingeschlafen.

Dieser Umstand, „dass sie sich entkleidet hat in Anwesenheit zweier ihr bis dahin unbekannter Männer„, wie es Richterin Genius formulierte, habe der Angeklagte möglicherweise als Einverständnis zum Sex auffassen können. Jedenfalls habe der 24-Jährige keinen Zustand der „Widerstandsunfähigkeit“ ausgenutzt, als er zunächst mit den Fingern und anschließend mit seinem Penis in sie eindrang. Ein später von der Polizei ermittelter Atemalkoholwert von 0,7 Promille bei der Frau habe keinen Hinweis auf einen hilflosen Zustand der 23-Jährigen erbracht.

In der Neuauflage des Verfahrens vor dem Landgericht dürfte es nun aber darum gehen, ob nicht allein die Tatsache des Einschlafens für die Widerstandsunfähigkeit der Frau spricht – und Sex mit einer Schlafenden ohne deren vorheriges Einverständnis nicht eben doch strafbar ist.

Was im Badezimmer geschah

Erst nach einiger Zeit soll es der 23-Jährigen gelungen sein, sich von dem Angeklagten zu befreien und sich ins Badezimmer zu flüchten. Dort habe sie sich übergeben – und noch etwas ist dort offenbar geschehen: Mit dem Begleiter des mutmaßlichen Vergewaltigers, der sich nach dem Geschehen auf dem Sofa um sie gekümmert habe, gab es im Badezimmer einvernehmlichen Sex.

Sie habe das zuvor – mit dem von ihr als unsympathisch eingestuften Mann – auf dem Sofa Erlebte „positiv überschreiben“ wollen, hatte sie den Ermittlern ihr Verhalten begründet. „Ein geradezu skurriler Sachverhalt„, kommentierte Verteidiger Voß.

Doch aus Sicht von Staatsanwältin Lindemann gibt es durchaus vergleichbare Fälle, in denen sich Missbrauchsopfer genau so verhalten, um wieder in die Phase der Selbstbestimmung zurückzufinden.

Kritik an der Polizei

„Es geht nicht um ein moralisches Urteil, das steht uns nicht zu“, meinte Richterin Genius in ihrer Begründung des Freispruchs. Wohl aber stellte sie Ermittlern und Gutachtern ein schlechtes Zeugnis aus, das wohl ebenso wie die verworrenen Umstände in der Wohnung zum Ausbleiben eines Schuldspruchs geführt hat: „Das Verfahren ist nicht ausermittelt.“

Und es wird nie zweifelsfrei zum Abschluss gebracht werden können: Es gab zwar noch am Tattag eine gynäkologische Untersuchung der 23-jährigen – aber es wurden keine DNA-Spuren gesichert und ausgewertet. „Sehr, sehr misslich“, rügte die Richterin.

Und: Weder beim mutmaßlichen Opfer noch bei den beiden Männern hatte die Polizei Blutproben angeordnet. So bleibt lediglich ein Atemalkoholwert von 0,7 Promille bei der Frau – knapp zwei Stunden nach der angenommenen Tat.