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Hochwasser in Niedersachsen: Ein halbes Jahr nach der Katastrophe wird das Ausmaß deutlich

Im Winter 2023 kam es in Niedersachsen zu einer Hochwasser-Katastrophe. Ein halbes Jahr später wird das ganze Ausmaß deutlich.

Hochwasser in Niedersachsen
© IMAGO/imagebroker

Richtiges Verhalten im Katastrophenfall

Umweltkatastrophen nehmen aufgrund des Klimawandels auch in Deutschland immer mehr zu. Wie verhält man sich im Katastrophenfall eigentlich richtig?

Rund um den Jahreswechsel war Land unter in weiten Teilen Niedersachsens und Bremens. Für viele ein traumatisches Wetter-Ereignis.

Mancherorts laufen die Aufräumarbeiten noch immer. Rund ein halbes Jahr nach der Hochwasser-Katastrophe in Niedersachsen wird das Ausmaß deutlich.

Hochwasser in Niedersachsen: HIER räumt man noch immer auf

Die Aufarbeitung des Hochwassers rund um den Jahreswechsel in Niedersachsen und Bremen ist noch in vollem Gange. Weite Teile der Region waren wochenlang überflutet, Hunderte Bewohnerinnen und Bewohner mussten ihre Häuser damals zwischenzeitlich verlassen. Die Katastrophe soll umfassend auf allen Ebenen ausgewertet werden, teilt das niedersächsische Umweltministerium ein halbes Jahr später mit. Aufgrund der Ausmaße der Überschwemmungen und vieler beteiligter Stellen handele es sich um einen „aufwendigen, noch laufenden Prozess“.

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In der vom Hochwasser besonders betroffenen Gemeinde Lilienthal (Landkreis Osterholz) laufen die Aufräumarbeiten noch. Deiche würden wieder instandgesetzt, Schmutz- und Regenwasserkanäle repariert und Straßen neu gebaut, sagt eine Sprecherin der Gemeinde. „Insgesamt muss die Gemeinde Lilienthal diese verschiedenen Schäden priorisieren und nach und nach abarbeiten, hinzu kommen Ausschreibungen und Vergabeverfahren, die ihre Zeit benötigen.“

„Mit einem blauen Auge davongekommen“

Tagelang kämpfte der Bremer Landwirt Carsten Schnakenberg gegen das Hochwasser an. Die Kälber auf seinem Hof im Ortsteil Timmersloh konnte er gerade noch umsiedeln, in den Maschinenschuppen und in die Silos drang Wasser ein. „Das vergesse ich so schnell nicht“, meint der 45-Jährige. Ein halbes Jahr ist seitdem vergangen, das Wasser ist längst abgepumpt – aber die Schäden werden jetzt erst richtig deutlich.

Das abgesoffene Wintergetreide lasse sich nicht verkaufen, die unterste Schicht in den Silos sei vergammelt und das Gras reiche kaum für die Rinder, bilanziert Schnakenberg. „Wir haben zum Glück ein bisschen Reserve aus dem letzten Jahr.“ Auf den Feldern des Wintergetreides baue er nun zusätzlich Gras an und wenn er den Mais ausnahmsweise häcksle, könne er das Futter strecken. „Im Großen und Ganzen sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.“

„Psychischen Belastungen sind sehr spürbar“

Um schnell auf die Hochwasserschäden reagieren zu können, hatte Niedersachsens Landtag im Februar einen Nachtragshaushalt von 110 Millionen Euro beschlossen. Mit dem Geld sollen Schäden an der Infrastruktur beseitigt und Einsatzkosten erstattet werden. Wer durch das Hochwasser in eine Notsituation geraten ist, bekommt ebenfalls finanzielle Unterstützung vom Land. Rund 470.000 Euro seien gewährt worden, wie das Umweltministerium in Hannover mitteilt. Allerdings seien bisher mehr Anträge abgelehnt als bewilligt worden. Bremen zahlte nach eigenen Angaben knapp 118.000 Euro an Privatpersonen.

Der Bremer Landwirt Carsten Schnakenberg hofft noch auf eine Entschädigung. „Die Betriebe in der Region haben im Schnitt bestimmt 20.000 bis 30.000 Euro Schaden“, schätzt der zweite Vizepräsident des Bremischen Landwirtschaftsverbands. Die Landwirtschaftskammer Bremen geht von rund 356.000 Euro Schaden aus. Der Bremer Senat unterstützt die Landwirte mit rund 320.000 Euro, das niedersächsische Landwirtschaftsministerium stellt sechs Millionen Euro zur Verfügung.

Doch die Betroffenen befänden sich nicht nur finanziell in einer Notlage. „Die psychischen Belastungen sind sehr spürbar“, erzählt Regine Moll, Geschäftsführerin der Freiwilligenagentur Lilienthal. „Einige haben es gut verkraftet, andere hingegen fangen schnell an zu weinen und haben viel Angst, sobald es regnet.“ Sie kenne mindestens drei Menschen, die deshalb schon zur Kur mussten. „Psychologische Betreuung wäre gut, sowohl für Betroffene, als auch für Helfende, da uns und anderen Ehrenamtlichen die vielen Schicksale sehr nahe gegangen sind.“

Lehren aus dem Hochwasser ziehen

Die Betroffenen, aber auch Landkreise und Kommunen treibt eine Frage um: Wie kann man sich in Zukunft besser vor Starkregen und Hochwasser schützen? Unmittelbar nach dem Hochwasser reparierten Deichverbände die ersten Schäden und rodeten Bäume, wenn sie die Sicherheit der Deiche gefährdeten. Entlang der Hunte in Oldenburg, entlang der Aller in Verden, entlang der Wörpe bei Lilienthal, entlang der Wümme in Bremen und um zu.

Bremen arbeitet gerade an einem „Generalplan Hochwasserschutz Binnenland“: Dafür sollen 67 Kilometer Deich an den Flüssen Wümme, Ochtum und Mittelweser überprüft werden, heißt es aus dem Bremer Umweltressort. Es soll unter anderem berechnet werden, wie hoch die Deiche eigentlich sein müssten. „Diese Aufgabe – von den Berechnungen bis zur abgeschlossenen Deicherhöhung – wird Jahre in Anspruch nehmen“, sagte eine Sprecherin der Behörde, immer in enger Absprache mit den angrenzenden Niedersachsen.

Die Kommunen in Niedersachsen sollen ebenfalls ein Konzept entwickeln, um sich vor den Wassermassen zu schützen. Dafür gibt es Zuschüsse vom Land. Auch bei der Stadtentwicklung sollen drohender Starkregen und Hochwasser besser berücksichtigt werden. „Jeder nicht versiegelte Quadratmeter Boden hilft“, sagt Sven Corbes, Fachdienstleiter Stadtentwicklung und Bauleitplanung in Oldenburg. Die Stadt werde prüfen, ob in Zukunft weitere Bereiche als Überschwemmungsgebiete dienen können.

Nachholbedarf beim Katastrophenschutz

Außerdem soll der Katastrophenschutz verbessert werden. Der Bedarf, mehr Pumpen, Schutzsysteme und Füllmaschinen vorzuhalten, sei schon vor dem jüngsten Hochwasser festgestellt worden, räumt das niedersächsische Umweltministerium ein. Jetzt hat das Innenministerium 10 Millionen Euro für solche Anschaffungen zur Verfügung gestellt, die um weitere 7,5 Millionen Euro aus EU-Fördermitteln ergänzt werden sollen. Damit sollen mobile Großpumpen, mobile Hochwasserschutzsysteme und Sandsackfüllmaschinen beschafft werden.


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Die Feuerwehr in Oldenburg prüfe beispielsweise die Anschaffung eines mobilen Deichs, sagt ein Sprecher der Stadt. Und die Gemeinde Lilienthal stellt nach eigenen Angaben mit der Feuerwehr einen Alarm- und Einsatzplan auf. Dabei sollen die Erfahrungen vom Hochwasser einfließen, um in Zukunft besser für kritische Lagen gerüstet zu sein.

Hochwasser-Gefahr – „Damit müssen wir leben“

Hochwasser lasse sich nicht verhindern, ist Landwirt Carsten Schnakenberg überzeugt. Sein Hof befinde sich auf einer Außendeichfläche, einen vollständigen Schutz vor den Wassermassen gebe es nicht. „Das ist Natur, die lässt sich nicht regulieren“, sagt der 45-Jährige. „Damit müssen wir leben.“ Die Landwirte hätten noch Glück im Unglück gehabt: Im Frühjahr oder Sommer wäre der Ernteausfall noch deutlich größer. „Eine Ernte kann man nicht nachholen.“

Ausgerechnet der verregnete Sommeranfang habe den Landwirten nun geholfen, die Ausfälle zu kompensieren. „Ohne den vielen Regen in letzter Zeit wäre das Gras nicht so schnell gewachsen“, sagt Schnakenberg. „Da hilft uns wieder die Nässe.“