Kaum erlebte die SPD ihre heftigste Wahlpleite seit Bestehen der Bundesrepublik, sicherte sich Parteichef Lars Klingbeil gleich das nächste Amt. Er will mit dem Segen des SPD-Präsidiums Fraktionsvorsitzender werden. So wird er als neuer starker Mann auf Augenhöhe mit Friedrich Merz über Schwarz-Rot verhandeln. Derweil grummelt es gewaltig an der Basis.
Unsere Redaktion hat sich umgehört. Es ist kaum vorstellbar, dass die SPD nach den 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl und als kommender Juniorpartner von Merz einfach direkt so weiter machen kann, als wäre nichts gewesen.
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„Basis war froh, wenn der 23. Februar vorbei ist“
Ein Mann von der Basis ist Abuzar Erdogan, der Fraktionschef und Unterbezirksvorsitzende der SPD im bayerischen Rosenheim. Erdogan rechnet ab! Als Ursache für die Wahlpleite macht er einen „vermeidbaren und vorhersehbaren Fehler der SPD-Spitze“ aus. Nach der gescheiterten Ampel habe Kanzlerkandidat Olaf Scholz einfach nicht für einen Neuanfang stehen können. „Die Niederlage hat auch etwas damit zu tun, dass es uns nicht gelungen ist, die eigene Basis zu motivieren. Während 2021 der Aufbruch auch in der Basis zu spüren war, hatte man bei dieser Wahl das Gefühl, dass man froh ist, wenn der 23. Februar vorbei ist.“
Die Parteispitze habe die Basis hängen lassen: „Mit dieser Personalentscheidung hat sich die SPD-Spitze unsolidarisch gegenüber der Parteibasis verhalten“, kritisiert Erdogan deutlich.
Das Willy-Brandt-Haus solle darauf hören, was ihre Ehrenamtlichen in den Städten und Gemeinden. „Wir vor Ort in den Kommunen haben das Ohr bei den Sorgen und Nöten der Menschen. Eine Kraft, die sich für mehr Netto und gerechtere Chancen einsetzt, die kleinen Leute wieder in den Fokus stellt und die Menschen vor extremen Demokratiefeinden schützt, wird stärker denn je gebraucht. Dafür braucht es aber die richtigen Köpfe, einen schonungslosen Reset und eine glaubwürdige Linie.“
„Von diesen Menschen wählt keiner mehr SPD“
Die Vorsitzende der Jusos Offenbach, Hibba-Tun-Noor Kauser, ärgert sich, dass sich die SPD im Wahlkampf so stark auf das Thema Migration eingegangen ist: „Die SPD hätte sich deutlich linker positionieren sollen. Sie hätte sich deutlicher zu sozialen Themen äußern und stärker auf Gerechtigkeitsthemen fokussieren müssen. Wir haben es bei den Linken gesehen: Es funktioniert!“
In ihrem Umfeld seien die meisten Leute Arbeiterkinder, oft migrantisch geprägt. Mit Bedauern stellt Kauser fest: „Von diesen Menschen wählt keiner mehr die SPD, die wählen alle die Linke.“ Anders als ihr Genosse aus Oberbayern bedauert sie allerdings nicht, dass die Sozialdemokraten nicht mit Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten angetreten sind. Sie ist „nicht der größte Pistorius-Fan“, denn der Minister ist ihr zu konservativ.
Mit Blick auf eine Koalition mit der Union unter einem Kanzler Friedrich Merz sieht die Jungsozialistin schwarz: „Auf keinen Fall wird das dann besser! Wenn wir mit Merz regieren, dann werden wir uns schön weiter nach rechts bewegen, dann wird Migrationsbegrenzung weiter das Hauptthema sein. Und wir werden weiterhin Wählerschaft verlieren, weil wir uns nicht auf die wirklich relevanten Lagen fokussieren.“
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Erleichterung über 16,4 Prozent: „Sehr befremdlich“
Auch im Netz ist der Unmut groß. Der junge Sozialdemokrat Dario Schramm postet am Wahlsonntag auf X, er finde es „sehr befremdlich“, dass viele in der SPD noch erleichtert seien. Nach dem Motto: Immerhin noch über 16 Prozent, es hätte schlimmer kommen können. „Das ist unser mit Abstand schlechtestes Ergebnis, da gibt’s wirklich null schön zu reden“, so Schramm.