Armut im reichen Wolfsburg? Das scheint erst mal nicht wirklich zu passen, denn bei den Einkommens-Statistiken ist die Stadt seit Jahren weit oben im Kurs.
Das verdankt Wolfsburg vor allem Arbeitgeber VW, der seine Mitarbeiter gut bezahlt. Dennoch gibt es sie – Menschen, die von diesem vermeintlichen Reichtum nichts abbekommen. Stichwort Altersarmut. Es ist eine der Geschichte, die unsere Leser in diesem Jahr am meisten bewegt hat.
Wolfsburg: Altersarmut gibt’s auch in der VW-Stadt
Einer dieser von Altersarmut betroffenen Wolfsburgern ist Jürgen. Er erzählte uns im August 2023 das erste Mal seine Geschichte. Jürgen ist erst 65 Jahre alt. Trotzdem kann er aufgrund einer schweren Rücken-Verletzung schon lange nicht mehr arbeiten. Obgleich er schon in vielen Bereichen gearbeitet hat – er war Maler, technischer Illustrator, Umzugshelfer und sogar Babysitter. Ein geregeltes Einkommen habe er trotzdem nie gehabt und sei im Winter oft arbeitslos gewesen.
Und nun spürt er die Konsequenzen mit voller Wucht. Armut im Alter ist sein täglicher Begleiter. Während des Corona-Lockdowns verschlug es ihn dann das erste Mal in den Tagestreff „Carpe Diem“. „Das war eine harte Zeit. Mein Geld war nach 15 Tagen aufgebraucht. Und den Rest des Monats musste ich dann von Pfandflaschen leben, was nicht sehr ertragreich war“, erzählte Jürgen ganz offen im Carpe-Podcast „Straßenphilosophen“.
Verschiedene Blicke auf Altersarmut
Auch der „Carpe“-Mitarbeiterin und Podcasterin Jasmin liegt das Thema Altersarmut am Herzen. „Hier dürfen viele Menschen das Glück haben, in einem sehr guten Lohnverhältnis zu sein. Das hat aber ganz oft zur Folge, dass sie gar nicht mehr verstehen, dass sie die Ausnahme sind. Das ist häufig eine Blase, in der sie sich bewegen dürfen. In anderen Städten sieht das ganz anders aus. Aber der Perspektiv-Wechsel ist manchmal schwierig“, sagte sie über die VW-Stadt.
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Jürgen sagte, dass er versucht, nicht so viel über das Geld der anderen Menschen nachzudenken. „Wenn ich mich auf dieses Gedanken-Spiel ‚Oh Gott, der hat so viel Kohle!‘ einlasse, dann beeinflusst mich das ja auch negativ. Ich versuche, lieber positiv zu denken und freue mich, wenn ich einen Sechser-Träger Pfandflaschen finde oder so“, erklärte er.
Wolfsburger schilderte Hunger-Tage
Was für viele unvorstellbar ist, ist für Jürgen bittere Realität. An vielen Tagen habe er nicht genug Geld für Essen – vor allem im Corona-Lockdown. Zu dieser Zeit verlor er deshalb extrem viel Gewicht. „Das ist schon so alltäglich, dass es fast langweilig ist. Allein eine Mahlzeit am Tag zu haben, ist für mich extrem wertvoll. Drei Mahlzeiten sind schon lange eine reine Illusion. Und wenn es nichts zu essen gibt, dann ist das halt so“, sagte er.
Zum Glück aber gäbe es das „Carpe-Diem“ in Wolfsburg, die Küche würden ihn glücklich machen. Auch die Gesellschaft gefalle Jürgen und er nehme gerne ihre Hilfe an. „Eines habe ich gelernt: Stolz, Würde und auch Mitleid sind Luxus-Gefühle. Die kann und muss man sich nicht immer leisten. Und ich leiste mir die auch nicht. Schon lange nicht mehr.“ Jürgen gab uns noch eine Lebenserfahrung mit auf den Weg: „Man kann im Leben alles machen, nur eines nicht: Aufgeben!“ Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, warum Jürgen nie eine Frau oder eine Familie hatte und was die Stadt Wolfsburg gegen Altersarmut macht, erfährst du in der Podcast-Folge „Straßenphilosophien – Geschichten zwischen Parkbank und Markthalle“ Armut im Alter. Hören kannst du diese hier, bei Spotify oder bei iTunes.