Unbestritten aller Diskussionen: Schlecht haben VW-Mitarbeiter zuletzt nie verdient. Da war jedenfalls für die meisten immer genug Geld in der Kasse, um ein nettes Weihnachtsfest zu feiern.
Aber seit drei Monaten müssen die VW-Mitarbeiter abwarten. Was geht da noch? Und was nicht? Die Konzern-Krise lässt die Belegschaft zum ersten Mal seit langer Zeit aufhorchen.
VW: Wie Bullriding am Band
Unsicherheit? Das kannte man bisher wenig in Wolfsburg & Co. – jetzt aber. VW fühlt sich derzeit sicher an wie Bullriding am Band. Nur ohne aufgeblasenen Plastikschutz rundum. Könnte also schmerzhaft werden für die Belegschaft. Bis zum Mittwochabend (9. Dezember) zählte die IG Metall fast 70.000 streikende Mitarbeiter in Deutschland. Einmal mehr schickten die VW-Mitarbeiter ein deutliches Zeichen. Diesmal nach Hannover, wo sich am Nachmittag der Konzern und Arbeitnehmer-Vertreter zum vierten Verhandlungspoker trafen. Ende offen. Einigung sehr unwahrscheinlich.
+++ VW-Mitarbeiter bedankt sich beim Krisen-Chef – was ist da denn los? +++
News38 hat vorab mit einigen VW-Mitarbeitern gesprochen. Einer davon war Axel Wiedemann. Er arbeitet seit 2003 bei Volkswagen, aktuell in der Absatzförderung. Aus seiner Sicht hat der VW-Vorstand alle guten Manieren über Bord geworfen, wenn man an das bisher geltende „Familien-Feeling“ im Konzern denke: „Die haben die Mannschaft verloren“, sagt Axel sichtlich angefasst. Er kämpft. Nicht nur für sich, sondern für alle anderen. Auch sein VW-Kollege Benjamin Stern will reden: „Ich bin voll mit Ängsten. Unsere Zukunft ist unsicher. Ich fühle mich vom Vorstand nicht wertgeschätzt. Unsere Stimme, also das, was wir all die Jahre mit aufgebaut haben, wird von einem auf den anderen Tag mit den Füßen getreten. Und das ist echt ein starkes Stück!“
Axel und Benjamin kamen da grad von der großen Kundgebung vor dem VW-Markenhochhaus in Wolfsburg. Da waren fast 40.000 Beschäftigte. Was für ein Ausrufezeichen! Auch IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner hatte sich auf den Weg nach Wolfsburg gemacht. Ihre Worte waren nicht nur klar, sondern auch laut. Sie sei „stinksauer und fassungslos“ über das Agieren des Vorstandes, sagte sie. „Statt intelligenter Lösungen bieten sie Kahlschlag und Stellenabbau.“ Schuld an der Krise seien nicht die Mitarbeiter, sondern viele falsche Entscheidungen des Managements. Und diese Probleme löse man nicht mit Werkschließungen, Kündigungen und Lohnkürzungen.
+++ VW haut vor Tarifrunde auf den Tisch – „Reicht noch nicht“ +++
Die seit dem Vormittag warnstreikenden Mitarbeiter des Stammwerks quittierten die Sparpläne des Konzerns mit lauten Pfeifkonzerten Rufen in Richtung des Vorstandshochhauses direkt hinter der Bühne. Sie riefen im Sprechchor: „Streikbereit! Bundesweit!“
VW: Zehntausende draußen
Begleitet wurde der Protest vom zweiten flächendeckenden Warnstreik an neun der zehn deutschen VW-Standorte. Betroffen waren neben Wolfsburg auch die Werke in Zwickau, Hannover, Emden, Kassel-Baunatal, Braunschweig, Salzgitter und Chemnitz sowie die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden. Laut IG Metall machten diesmal so viele Mitarbeiter mit:
- Wolfsburg: 38.000
- Kassel: 7.000
- Hannover: 6.000
- Zwickau: 5.000
- Emden: 4.750
- Salzgitter: 3.600
- Braunschweig: 3.000
- Chemnitz: 500
- Dresden: 150
Anders als beim ersten Ausstand am vergangenen Montag sollte die Arbeit in jeder Schicht nicht nur für zwei Stunden ruhen, sondern für vier Stunden. VW widersprach den IG Metall-Zahlen am frühen Abend. So seien in Wolfsburg nur rund 15.800 Teilnehmer dabei gewesen.
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Die IG Metall hatte angeboten, eine mögliche Lohnerhöhung vorerst nicht auszuzahlen, sondern in einen Zukunftsfonds einzubringen. Dem Konzern stellte sie dabei eine Kostenentlastung von 1,5 Milliarden Euro in Aussicht. Im Gegenzug sollte VW auf Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Die Arbeitnehmerseite sei mit ihrem eigenen Sparvorschlag „einen Riesenschritt“ auf die Arbeitgeber zugegangen, erklärte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger. „Das Unternehmen muss sich jetzt auf die IG Metall zubewegen.“
VW will Potenziale finden
VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel bekräftigte zum Auftakt der vierten Tarifrunde den Sparwillen des Konzerns. „Wir brauchen weiterhin Kostenentlastungen, die kurzfristig umsetzbar und nachhaltig sind.“ Das von der Gewerkschaft im November vorgelegte Konzept reiche hier ’noch nicht‘ aus. „Deshalb müssen wir heute weitere Potenziale finden.“ Die Ablehnung des Konzepts fiel damit weniger schroff aus als zuvor. Bisher hatte VW erklärt, das IG-Metall-Angebot reiche „bei Weitem“ nicht aus und bringe überwiegend keine nachhaltige Entlastung.
VW-Einigung vor Weihnachten?
Fakt ist und bleibt: Beide Seiten hatten im Vorfeld mehrfach erklärt, sich am liebsten vor Weihnachten einigen zu wollen. Sollte es nun zu einer Annäherung kommen, so sei dies weiter möglich, sagte Gröger. Die IG Metall sei dann auch zu weiteren Verhandlungen in dieser und der nächsten Woche bereit. Andernfalls drohte er bereits mit einer Ausweitung des Arbeitskampfs. „Dann gibt es 2025 auf den Sparhammer als Antwort nur eines: den Streikhammer!“ (mit dpa)